In seinem Grundlagenwerk Generation des Unbedingten charakterisiert Michael Wildt die in den Jahren des 1. Weltkriegs Aufgewachsenen, die sog. Kriegsjugendgeneration. Er schreibt den zwischen 1900 und 1910 Geborenen zu, sie hätten den Krieg, in den sie im Unterschied zu ihren älteren Brüdern nicht ziehen mussten / durften, so, wie […] Sebastian Haffner, Jahrgang 1907, als Junge in Berlin empfunden […]: der Krieg als ein „großes, aufregendbegeistertes Spiel der Nationen, das tiefere Unterhaltung und lustvollere Emotionen beschert, als irgendetwas, was der Frieden zu bieten hat“. (Wildt, Michael: Generation des Unbedingten – Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 51.
Sebastian Haffners hellsichtige Analyse der eigenen Generation und Zeit zieht Wildt als Quelle für seine Studie zum Führungskorps des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) heran. Er betrachtet darin eine gesellschaftliche Gruppe, zu der Ernst Maier geographisch wie sozial eine maximal Distanz hatte – nichtsdestoweniger sind die Erfahrungen, die sie alle als Männer eben dieser Kriegsjugendgeneration teilen, wichtig.
Sebastian Haffner, der 1938 nach Großbritannien emigrierte, stellte von dort bereits 1939 die These auf, dass die eigentliche Generation des Nazismus […] die in der Dekade 1900 und 1910 Geborenen, die den Krieg ganz ungestört von seiner Tatsächlichkeit als großes Spiel erlebt haben, [seien]. (Haffner, Sebastian: Erinnerungen eines Deutschen, München 2002, S.22.)
Volker Ulrich benannte in einer Rezension für die Zeit Haffners „Kernthema“ wie folgt: es bestand eine Anfälligkeit der zwischen 1900 und 1910 Geborenen für die Verführung, die Nationalsozialismus hieß. Den Prägungen dieser Generation in Krieg und Nachkriegszeit spürt er, vom eigenen Fall ausgehend, mit großer Einfühlungskraft nach.
Nun ist Haffner wiederum einige Jahre jünger als Ernst Maier und gehört damit innerhalb der von ihm definierten Generation zu den Jüngeren – die den Krieg tatsächlich als Schuljungen und nicht als Jugendliche, die grade ein oder zwei entscheidende Jahre zu jung waren, erlebten. Für den Moment schließe ich mich zunächst seiner Interpretation an, dass der Erste Weltkrieg und die sich anschließende Revolution als These und Anti-These betrachtet werden müssen:
Die Revolution wirkte auf mich und meine Altersgenossen gerade umgekehrt wie der Krieg: Der Krieg hatte unser wirkliches, tägliches Leben bis zur Langeweile unverändert gelassen, dafür aber unserer Phantasie reichsten und unerschöpflichen Stoff gegeben. Die Revolution brachte viel Neues in die tägliche Wirklichkeit, und das Neue war bunt und aufregend genug […] aber sie ließ die Phantasie unbeschäftigt. Sie hatte nicht, wie der Krieg, sozusagen ein einfaches und einleuchtendes Dasein, in das man die Ereignisse einordnen konnte. Alle ihre Krisen, Streiks, Schießereien, Putsche, Demonstrationszüge blieben widerspruchsvoll und verwirrend. Nie wurde es recht klar, um was es eigentlich ging. Man konnte sich nicht begeistern. Man konnte nicht einmal verstehen. (Haffner, S. 33)
Es ist für die gesamte weitere deutsche Geschichte von verhängnisvoller Bedeutung gewesen, daß der Kriegsausbruch, trotz allem fürchterlichen Unglück, das ihm folgte, für fast alle mit ein paar unvergeßlichen Tagen größter Erhebung und gesteigerten Lebens verbunden geblieben ist, während an die Revolution von 1918, die doch schließlich Frieden und Freiheit brachte, eigentlich fast alle Deutschen nur trübe Erinnerungen haben. (Haffner, S. 27)
Für Ernst Maier trifft diese Beschreibung einer allgemeinen Seelenlage sicherlich zu, wenn man seine Einschätzung des Ausbruchs der Revolution und seine Reaktion darauf (s. vorangegangenen Post) betrachtet. Trotzdem gilt es – neben den sozialen Unterschieden, die zwischen dem Gymnasiasten Haffner und dem Bauhilfsarbeiter und Maurer Maier – und den regionalen, hier Berlin, dort die 250-Einwohner-Gemeinde Adelsberg, auch den inter-generationellen Generationenunterschied (geb. 1901 – geb. 1907) zu beachten. Ich werde später auf all diese Punkte zurück kommen und mich u.a. mit der Frage beschäftigen, ob das Gefühl des zu-kurz-gekommen-Seins als Krieger, das bei Ernst Maier (und Rudolf Höß) artikuliert wird, Haffners These schwächt oder stützt.
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