Die Analyse der vorliegenden Parteikarteikartenkopie aus dem BDC ist nicht ganz einfach. Es sind mindestens drei unterschiedliche Handschriften, dazu Stempel und Streichungen vorhanden. Es gilt, wie bei einer archäologischen Ausgrabung, Schicht für Schicht vorzugehen.
Teil 1 – Wann trat Ernst Maier der NSDAP bei?
Ernst Maier trat laut seiner im BDC vorhandenen Karteikarte aus der NSDAP-Gaukartei am 01. November 1930 der Ortsgruppe Zell i.W. des Gaus Baden der NSDAP bei. Er erhielt die Parteinummer 359390.
In einem Artikel aus der FAZ vom 08.12.2016 findet sich eine Reihe hilfreicher Hinweise zur Kontextualisierung sowohl der Karteikarte selbst als auch des Parteieintritts:
- „Weil die Nazis doppelte Buchführung betrieben, [gab es] zwei Karteien: Die sogenannte Reichskartei war alphabetisch aufgebaut, wohingegen die ‚Gaukartei‘ territorial geordnet war.“
- „Das Jahr 1930 wurde zur entscheidenden Zäsur. Mit mehr als 6,4 Millionen Stimmen wurden die Braunhemden bei der Reichstagswahl im September zweitstärkste Kraft. Nun wuchsen die Mitgliederzahlen rasant.“
Mit einem Parteieintritt im November 1930 wäre Ernst Maier damit ein klassischer Mitläufer, mitgerissen von den Wahlerfolgen zwei Monate zuvor, bei der die NSDAP auch in Baden enorme Zugewinne verzeichnete. Von 2,9% bei der Wahl am 25.05.1928 steigerten sich die Stimmanteile auf 19,2%, insgesamt 226.795 Stimmen. (vgl. https://www.wahlen-in-deutschland.de/wrtwbaden.htm)
Schon 1935 machte ein Parteieintritt im Herbst 1930 auf niemanden Eindruck und hätte wohl kaum als Ausdruck besonderer Parteitreue gegolten. Was aber, wenn das Datum ein ganzes Jahr davor gelegen hätte?
Ernst Maier in seinen eigenen Worten:
Ich habe nie einer Partei angehört, aber als nach 1928 die Arbeitslosigkeit und Elend immer mehr zunahm hatte ich große Sympathien für die einzig deutschdenkende Partei, zur N.S.D.A.P und wurde dann im Herbst 1929 als sechster Mitbegründer der N.S.D.A.P. Ortsgruppe Zoll i/W.
Bei Gründung der Ortsgruppe trat ich zugleich in die S.A. ein, wovon ich am 6. Oktober 1932 zur SS überging.
Aus diesem kurzen Absatz aus seinem selbstverfassten Lebenslauf lässt sich bereits ein ziemlich gutes Bild sowohl der persönlichen wie gesellschaftlichen Situation, in der sich Ernst Maier zum Zeitpunkt seines Parteieintritts befand, entwerfen: Ein 28-jähriger Landarbeiter, möglicherweise teilzeit-arbeitslos, vermutlich bei den Eltern lebend, ohne große Perspektive, unverheiratet, ohne Partei-Zugehörigkeit aber tendenziell eher national-konservativ eingestellt, aus bäuerlich-katholischem Milieu stammend sucht nach einem Sinn im Leben und findet ihn in Partei und SA.
Es fällt mir sehr schwer, diese Geschichte nicht sofort so zu glauben und nicht sofort noch mehr Details zu suchen, zu ergänzen, mir vorzustellen. Aber leider leider erfolgte laut offiziellem Parteidokument der Eintritt eben nicht 1929, sondern erst 1930. Das macht die Geschichte nicht kaputt, aber rückt die Motivation zum Engagement in dieser nun eben nicht mehr nur verheißungsvollen, sondern auch relativ erfolgreichen politischen Bewegung in ein anderes Licht.
Als Hinweis darauf, dass zumindest die offizielle Aufnahme tatsächlich erst 1930 erfolgte, lohnt ein Blick in die Mitgliederkartei. Auch hier – wie so oft – ist Wikipedia der schnelle Freund und Helfer:
Die Liste der NSDAP-Parteimitgliedsnummern bietet einen unvollständigen Überblick über bekannte Personen, die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angehörten.
Ernst Maier reiht sich damit irgendwo zwischen Otto Ullmann (*1899, 1943 bis 1945 Polizeipräsident in Breslau) und Erich Ernst (*1889) ein, die beide laut Wikipedia 1930 der NSDAP beitraten.
Interessant ist in diesem Kontext auch der ebenfalls in diesem Zeitraum liegende Parteieintritt Werner Bests (*1903), der vor 1940 als eine der Schlüsselfiguren im RSHA gelten kann (vgl. hierzu erneut Wildt, Generation des Unbedingten).
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