Was bedeutete es, dass Karolina Maier geb. Keller, die Mutter von Ernst und meine Ur-Ur-Großmutter, Hebamme in Adelsberg war? Welchen Stand hatte sie damit inne, welche Verpflichtungen und welche Rechte? Und wie sah ihr Alltag aus?
Zunächst einmal ist es wichtig, den sozialen Rahmen zu verstehen, in dem Karolina tätig war.
Im Normalfall fand die Geburt zuhause statt, auch in ärmlichen Verhältnissen. Anwesend war höchstens eine Hebamme, und gerade sie war nach Ansicht vieler Ärzte schuld daran, daß die Stillhäufigkeit immer mehr zurückging. Hebammen, hieß es, bestärkten die Frauen in ihrer Abneigung gegen das Stillen und waren nur allzu rasch bereit Stillunfähigkeit zu attestieren und künstliche Ernährungsformen zu empfehlen. Auch hier tat gründliche Information und staatliche Intervention not: So bestimmte ein Regierungserlaß von 1905, daß die Medizinalbeamten die ihnen unterstellten Hebammen darauf verpflichten mußten, die Wöchnerinnen zum Stillen anzuhalten. (Frevert, Ute: „Fürsorgliche Belagerung“- Hygienebewegung und Arbeiterfrauen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), 4, S. 420- 446, hier S.439.)
Dabei nahmen Hebammen nicht nur dort, aber insbesondere in Dörfern seit Jahrhunderten eine wichtige Position, auch als Ausdruck eines durch die Gruppe der Frauen kontrollierten Bereich des gemeinschaftlichen Lebens ein. (Kinzelbach, Annemarie: Women and healthcare in early modern German towns, in: Renaissance Studies (28), 2014, S. 619-638.)
Die Bezeichnung „Hebamme“ stand allein der besten, vor allem aber der von den Dorffrauen als solche anerkannten, Geburtshelferin zu. […] überall im deutschsprachigen Raum wurde die Dorfhebamme zumindest bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts, von den verheirateten Dorffrauen gewählt. Dieses einzige öffentliche Recht der Frauen, das Recht zur Wahl ihrer Hebemutter, das sich bereits im Mittelalter und wahrscheinlich auch davor feststellen läßt, bildete ein festgefügtes Ritual der Frauengemeinschaft. Sie versammelte sich […] entweder alljährlich zu einem bestimmten Termin, um die alte Hebamme in ihrem Amt zu bestätigen, oder sie trat dann zusammen, wenn es galt, die Hebammenstelle neu zu besetzen […]. (Labouvie, Eva: Selbstverwaltete Geburt – Landhebammen zwischen Macht und Reglementierung (17.-19. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft (18), 1992, 4, S. 477-506, hier S.485.)
Diese selbstbestimmte Wahl wurde im Laufe der Zeit durch die unterschiedlichen Obrigkeiten, denen die (Dorf)Frauen unterworfen waren, immer weiter eingeschränkt: Das Wahlrecht der verheirateten Frauen, welches sie auch dort immer wieder durchzusetzen versuchten, wo es von der Landesherrschaft seit dem 17. und 18. Jahrhundert den Pfarrern oder Ortsbediensteten übertragen worden war, blieb ein steter Zankapfel. (Labouvie S.486)
Der Weg von der freien Hebamme des Mittelalters, die Geburtshelferin und Gynäkologin zugleich sein konnte, führte von kontrollierenden Pflichtfestschreibungen durch Hebammenordnungen und Vereidigungen, über Hierarchisierung, Verschulung und Professionalisierung schließlich Ende des 19. und im 20. Jahrhundert zu ärztlich geleiteten Gebäranstalten, Hospitälern und Krankenhäusern. In diesen durften die Hebammen nun unter Anweisung von Medizinern tätig sein oder sich als ausgebildete Kreis- und Bezirkshebammen mit Niederlassungsgenehmigung betätigen, eine Entwicklung, die bis heute allgemein noch Gültigkeit hat. (Labouvie S.478)
Und doch lag in der staatlichen Kontrolle über das Hebammenwesen auch eine Chance für die Einzelne, die nun, ausgestattet mit einer zertifizierten Ausbildung, ein geregeltes Einkommen einfordern konnte und damit eine gewisse Selbstständigkeit und Unabhängigkeit in einer Gesellschaft, die weibliche Erwerbsarbeit gewöhnlich nicht schätzte, erhielt:
Bezahlte Frauenarbeit galt während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Bewußtsein weithin als notwendiges Übel für Minderbemittelte, wenn nicht als Schande. Bis 1900 unterstanden alle verheirateten Frauen nach den Bestimmungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts männlicher Vormundschaft, ohne deren Einwilligung sie keinen Arbeits- oder Mietvertrag eingehen durften. (Nienhaus, Ursula: Von Töchtern und Schwestern – Zur vergessenen Geschichte der weiblichen Angestellten im deutschen Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft (7), 1981, S.309-330, hier S.312.)
Wenn Frauen in dieser Zeit doch arbeiteten bzw. arbeiten mussten, unterlagen sie standardmäßiger Diskriminierung:
Frauen wurden nicht nur aufgrund ihrer Benachteiligung im Bildungssystem am Qualifikationserwerb gehindert, sondern im Wege der Arbeitsplatz-, Bewertungs- und z.T. auch offenen Diskriminierung am Arbeitsmarkt schloß man sie zudem aus beruflichen Lernprozessen aus und verwehrte ihnen die leistungsgerechte Verwertung ihrer Qualifikationen. (Knapp, Ulla: Frauenarbeit in Deutschland zwischen 1850 und 1933 Teil II, in Historical Social Research / Historische Sozialforschung (29), 1984, S. 3-42, hier S.20.)
Während eine Diskriminierung der Hebammen hinsichtlich ihrer Entlohnung nicht ausgeschlossen werden kann, scheint mir doch zumindest eine Einschränkung, der die meisten weiblichen Erwerbstätigen ca. 1900 unterlagen, auf sie nicht zuzutreffen – Hebammen erhielten dank der Regulierungsbestrebungen im Gesundheitssystem eine Fach-Ausbildung. (Huerkamp, Claudia: Ärzte und Professionalisierung in Deutschland – Überlegungen zum Wandel des Arztberufs im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft (6), 1980 S. 349-382).
Ganz anders sah dies für viele Arbeiterinnen aus:
Faktisch stellten weibliche Lehren bessere Anlernausbildungen dar, die sich auf die güterwirtschaftlich sekundären Bereiche (Textil, Bekleidung) konzentrierten. Häufig, insbesondere in der Bekleidungsindustrie, implizierte dies aber nicht, daß die Frauen tatsächlich weniger qualifiziert waren als Arbeiter, die ein ordentliches Lehrverhältnis in einer anderen Branche absolviert hatten: gerade in der Konfektion rechneten die Arbeitgeber mit den hauswirtschaftlich erworbenen Qualifikationen der Frauen und eigneten sich diese unentgeltlich an. (Knapp S.22)
Die Beschäftigung mit dem Thema „Weibliche Erwerbsarbeit“ allgemein bzw. der Hebammen als Beispiel für eine schon früh für Frauen akzeptierte Profession deutet darauf hin, dass Karolina Maier innerhalb der Gemeinde Adelsberg eine besondere Position einnahm.
Zur Erinnerung:
Adelsberg hatte im Jahre 1890 255 Einwohner, die überwiegend von Landwirtschaft und Viehzucht [lebten], sofern sie nicht als Köhler und Weber tätig waren. (Fräulin, Hans: Neue Geschichte der Stadt Zell im Wiesental, Zell 1999, S.264.) Nimmt man an, dass unter den Einwohnern ein paar Handwerker (quasi als „Dienstleister“ für die Bauern) und vermutlich ein Lehrer waren, so muss man die Hebamme zu den wenigen – vielleicht nur eine Handvoll – Einwohnern zählen, die einen „echten“ Beruf hatten. Damit stach Karolina nicht nur innerhalb der Gemeinde hervor, sondern sie hob sich auch in entschiedenem Maße von den anderen Frauen ab:
Zwei Drittel aller erwerbstätigen verheirateten Frauen arbeiteten zwischen 1907 und 1933 als mithelfende Familienangehörige, vor wiegend in der Landwirtschaft; stärker als männliche mithelfende Familienangehörige konzentrierten sie sich auf die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe. (Knapp S.7f)
Im Staatsarchiv Freiburg bin ich auf eine Akte gestoßen, deren Kurzbeschreibung mich neugierig gemacht hat: Regelung des Hebammendienstes in Adelsberg / 1878-1949. Ein echter Glücksfall!
Ich habe mir die Akte als Reproduktion zusenden lassen und kann jetzt das Berufsleben von Karolina Maier ab dem Jahre 1897, als sie – noch nicht 21 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und schwanger mit dem dritten – dazu bestimmt / erwählt wurde, zukünftig als Hebamme der Gemeinde zu dienen.
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