Die Hebammen von Adelsberg (3)

Nachdem Karolina Anfang Dezember zur Hebammen-Ausbildung vorgeschlagen („gewählt“) wurde, ging alles sehr schnell. Bereits am 7. Januar 1898 teilt das Bürgermeisteramt Adelsberg dem Bezirksamt in Schönau mit, dass Frau Maier seit dem 1. Januar d.J. beim Hebammenkurs in Freiburg sich befindet und ist dieselbe im 22. Lebensjahr somit Altersgenehmigung nicht erforderlich.

Was es mit dieser „Altersgenehmigung“ auf sich hat, konnte ich bisher nicht feststellen. Die Vermutung liegt nahe, dass Frauen, die über 30 Jahre alt waren, was bei gewählten Hebammen sicher häufiger der Fall war, nur unter bestimmten Umständen zum Kurs zugelassen wurden. Eine Ausbildung mag angesichts ihres fortgeschrittenen Alters unter Umständen als eine unnötige Investition betrachtet worden sein. Andererseits wurden eben häufig erfahrene Geburtshelferinnen für das offizielle Amt vorgeschlagen, da sie den Frauen des Ortes bekannt waren und man ihnen aufgrund ihrer bisherigen Arbeit vertraute.

Eva Labouvie schreibt dazu:

Die meisten Hebammen hatten bis ins 18. Jahrhundert nie von Hebammenbüchern, anatomischen Kursen oder einer speziellen Ausbildung gehört und besaßen auch keine über ihre Erfahrungen hinausgehenden Kenntnisse. Dennoch bestanden diese Frauen vielfach die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts obrigkeitlich angeordneten und von den ortsansässigen Ärzten und Chirurgen durchzuführenden Examina ohne vorherigen Unterricht. […] Eine gewisse Änderung setzte mit der herrschaftlich angeordneten Entlohnung des Hebammenwesens Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein, als bestimmt wurde, nur den unterrichteten und examinierten Landhebammen ein festes Einkommen zuzubilligen und die Ausbildungskosten zu übernehmen. (Labouvie, Eva: Selbstverwaltete Geburt – Landhebammen zwischen Macht und Reglementierung (17.-19. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft (18), 1992, 4, S. 477-506, hier S. 491f)

Karolina jedenfalls war im Januar 1898 nicht im 22. Lebensjahr, wie der Bürgermeister schreibt, sondern sollte am 12.02. erst 21 Jahre alt werden. Sie war seit noch nicht ganz vier Jahren verheiratet und hatte bereits zwei Kinder, Anna Augusta, geboren am 25.02. 1895 und Karl August, geboren am 11.08.1896. Und Karolina war wieder schwanger. Kind Nummer 3, Rosina, würde am 15. Mai geboren werden, sie befand sich also bereits im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, als sie mitten im Winter die Reise nach Freiburg unternahm, um einen vier Monate dauernden Kurs anzutreten!

Dass der Kurs vier Monate dauerte erfahren wir aus einem weiteren Schreiben des Bürgermeisteramts Adelsberg vom 03.05.1898:

Wohldemselben beehre ich mich Ergebnis anzuzeigen, daß die unterm 1. Januar d.J. Als Gemeindehebamme zum 4 monatlichen Kurs von hiesiger Gemeinde gesandte Frau Maier daher nach erfolgter Prüfung und Zeugnis als Hebamme ausgebildet ist und nunmehr wieder hier sich befindet. 

Staatsarchiv Freiburg B 719–1_2514

Zum Ablauf des Kurses in Freiburg gibt es keine weiteren Informationen, jedoch dürfte der folgende Ablauf eines Kurses in Würzburg aus dem Jahre 1893 ein gutes Bild davon geben, was die Hebammen-Schülerinnen auch in Freiburg lernten:

Der theoretische Unterricht fand zwei Stunden vormittags durch den Professor und zwei Stunden nachmittags durch den Repetitor statt. Der Inhalt des Unterrichts, der im freien Vortrag gehalten wurde, bestand aus dem allgemeinen Körperbau des Menschen, den Körperfunktionen, der Physiologie und „Diectetik“ der Schwangerschaft, der Geburt, dem Wochenbett, der Pathologie und der Theorie. Tägliche Repetition, Demonstrationen an Wachspräparaten, Abbildungen der geburtshilflichen Atlanten und Wandtafeln, Übungen am Phantom, z.B. Extraktion bei Steißlagen, gehörten dazu. Auch wurde auf eine gute praktische Ausbildung Wert gelegt. So fand täglich in den frühen Morgenstunden eine Untersuchung von Schwangeren statt, es wurden Manipulationen und Hilfeleistungen, wie Ausspülen, Kleptieren und Kathetisieren geübt. Der Schröpfunterricht261 wurde von der Oberhebamme geleitet. In Gruppen von fünf bis sechs Schülerinnen wurde Geburten beigewohnt, dabei untersuchten die Hebammenschülerinnen abwechselnd äußerlich und innerlich unter Aufsicht. Somit wurden die theoretischen und praktischen Grundregeln der Antisepsis und Reinlichkeit eingeprägt. (Fahnemann, Martina: Die Entwicklung des Hebammenberufs zwischen 1870 und 1945: Ein Vergleich zwischen Bayern und Württemberg, Würzburg 2006, S.52, aufgerufen über https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/1884/file/fahnemann.pdf am 20.09.2021)

Die Schülerinnen waren in der Klinik untergebracht. Um 5.30 Uhr mussten die Hebammenschülerinnen aufstehen, und die Betten und das Zimmer in Ordnung bringen. Um 6.30 Uhr gab es Frühstück, um 12 Uhr Mittagessen. Mit Erlaubnis der Oberhebamme hatten die Schülerinnen von 12 – 14 Uhr Ausgang. Um 13.30 Uhr wurde der Kaffee gereicht und um 18 Uhr das Abendessen. (Fahnemann S.53)

Die dreijährige Anna Augusta und der eineinhalb Jahre alte Karl August blieben in dieser Zeit vermutlich bei den Eltern Karolinas, dem Landwirt Johann Keller (geb. 1837, 61 Jahre alt) und seiner Frau Katharina (geb. 1840, 57 Jahre alt).

Karolina kam hochschwanger aus Freiburg zurück und brachte am 15. Mai ihr drittes Kind, die Tochter Rosina, zur Welt. Die Tatsache, dass sie nun im Wochenbett lag, meldete das Bürgermeisteramt wiederum nach Schönau, denn dadurch wurde ihre Vereidigung verzögert!

Erst am 2. Juni konnte diese als erfolgt vermeldet werden und die Gemeinde Adelsberg hatte dieses wichtige Amt nach einem Dreivierteljahr endlich wieder besetzt.

Staatsarchiv Freiburg B 719–1_2514

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