Albert Leo Schlageter

Kannte Ernst, der 1901 in Adelsberg geboren wurde, den 7 Jahre älteren Albert Leo Schlageter aus Schönau?

Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.

Schlageter besuchte das Gymnasium in Freiburg, war also laut DHM ab 1909, als Ernst erst 8 Jahre alt war, nicht mehr im Wiesental wohnhaft. 1914 zog er von Freiburg aus in den Krieg und kehrte von da an, zumindest nach allem, was ich bisher gelesen habe, nur noch einige wenige Male in seine Heimat zurück.

Trotzdem ist nicht abwegig, dass Ernst Schlageter zumindest kannte, also wusste wer er war, auch bevor er zu nationalem Ruhm kam. Denn bis jetzt konnte ich noch nicht heraus finden, wie Ernst auf die Idee kam, sich zu den Freikorps zu melden. Und Schlageter wäre hier eine heiße Spur.

Zu Ernst Freikorps-Historie wissen wir nur, was er selbst Jahre später dazu schreibt:

Bei Kriegsende 1918 in meinem Vaterlande die Revolution u von Osten her vom Bolschewismus bedroht, meldete ich mich als 18jähriger am 6.3.1919 freiwillig zur 1. Garde Res.division Grenzschutz (Ost) Nach dem Rückzug aus dem Baltikum kam ich zur Hafenwache im Stettiner Freihafen, wovon ich dann Ende Oktober 1919 zum Reichswehr Inf. Reg. 115 überwiesen wurde. Um meine Alten in der Heimat besser unterstützen zu können lies ich mich auf Wunsch meiner Alten am 18. Febr. vom Reichsw. Inf. Reg. 115 in die Heimat entlassen. 

Man kann annehmen, dass Ernst, wenn er mit, unter oder in der Nähe von Schlageter gedient hätte oder eingesetzt worden wäre, dies erwähnt hätte. Ein genauerer Blick lohnt sich trotzdem.

Der Literatur zufolge war Schlageter Angehöriger des Freikorps Medem, das zur Eisernen Division zählte,während Ernst als Mitglied der 1. Garde Reservedivision aus den regulären Truppen hervor ging:

Nach Kriegsende und Rückkehr in die Heimat wurde die Division Ende Januar 1919 in Berlin aus Freiwilligen neu aufgestellt und dem VI. Reserve-Korps unter Rüdiger von der Goltz im Baltikum zugeteilt. Im Frühling 1919 war sie der stärkste Verband der sogenannten Baltikumer, welche 1919 im Auftrag der Obersten Heeresleitung Grenzschutzoperationen an der Nordostgrenze Deutschlands übernahmen und ab März 1919 im Lettischen Unabhängigkeitskrieg eingesetzt wurden. (Wikipedia)

Zum Freikorps Medem findet sich bei Stefan Zwicker folgende Information:

… in Waldkirch, wo der Hauptmann Walter Eberhard v. Medem ein Freikorps um sich sammelte. Medem, damals 30 Jahre alt, gehörte wie fast alle Freikorpsführer zur Generation der jungen Weltkriegsoffiziere. Er schrieb später, Ziel seiner etwa 400 Mann starken Truppe sei vom Tag der Gründung an „die Befreiung des von den Bolschewisten besetzten Riga“ gewesen. Am 17. April erfolgte der Abtransport nach Kurland, Schlageter war als Batterieführer dabei. (Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“ – Albert Leo Schlageter und Julius Fucik Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur, Paderborn 2006, S.36.)

Beide Einheiten, also sowohl die 1. Garde Reservedivision als auch das Freikorps Medem unterstanden in dem Zeitraum, in dem Ernst sich im Baltikum befand (März-Oktober 1919) Rüdiger von der Goltz:

Anfang Februar 1919 übernahm das VI. Reserve-Korps die Befehlsführung in Kurland. Dem Kommandierenden General, Generalmajor Rüdiger von der Goltz, unterstanden das Gouvernement Libau, die Baltische Landeswehr, die Eiserne Division, die eintreffende 1. Garde-Reserve-Division und verschiedene kleinere Freikorps.  (Wikipedia)

Für Ernst war das Abenteuer Freikorps nach knapp 11 Monaten wieder beendet, während Schlageter bis zu seinem Tod 1923 noch an so gut wie allen Brennpunkten dieser Jahre anzutreffen war (Kapp-Putsch, Oberschlesien, Ruhrgebiet). Leider konzentriert sich die Forschung zu Schlageter in der Regel auf seine Funktion als Symbol des deutschen Nationalismus, inklusive seiner Verehrung. Für die für mich spannenden Fragen konnte ich bisher nur vereinzelt Hinweise finden:

Wie wurde Schlageter in seiner Heimat wahrgenommen und vereinnahmt, war er bereits vor seinem Tod dort bekannt und aktiv?

Wenn man annimmt, dass Ernst wusste, wer Schlageter war, dann gab es für beide soweit bekannt, lediglich noch eine Möglichkeit, sich nach Ernsts Zeit im Baltikum in der Heimat über den weg zu laufen und zwar 1921, als Schlageter zwischenzeitlich kurz dort zu Besuch war. (Zwicker, Stefan: Albert Leo Schlageter – eine Symbolfigur der deutschen Nationalismus zwischen den Weltkriegen, in: Linek, Bernard (Hg.): Nacjonalizm a tożsamość narodowa w Europie Środkowo-Wschodniej w XiX i XX w. Opole 2000, S. 199–214, S.211)

Diese Episode 1921 schildert bspw. Friedrich Georg Jünger (der Bruder Ernst Jüngers):

Als das Deutschtum gesiegt hatte […], hielt sich Schlageter im Schwarzwalde auf. Als polnische Insurgenten, mit aktiven polnischen Truppen gemischt, von den Franzosen begünstigt, die deutsche Grenze überschritten, kehrte er zurück. (Jünger, Friedrich Georg: Albert Leo Schlageter, in: Jünger, Ernst (Hg.): Die Unvergessenen, Leipzig 1928, S.302-311, hier S.305.

Nach seiner Hinrichtung durch die Franzosen 1923 war Schlageter dann sehr schnell überall in Deutschland ein Begriff und man kann zum Beispiel annehmen, dass Ernst die Überführung seines Sarges aus Düsseldorf nach Schönau Anfang Juni 1923 miterlebte. Bei der Beisetzung am 10.06. in Schönau waren u.a. auch Freikorps-Vertreter anwesend – und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Ernst:

Am Sonntag, 10. Juni 1923, wurde Schlageter auf dem Schönauer Friedhof der Heimaterde übergeben. Die ganze Gemeinde beteiligte sich. (Rothmund)

Die Eisenbahn brachte den Sarg über Hagen, Gießen, Frankfurt, Mannheim,
Karlsruhe, Freiburg und Basel nach Schönau. Auf den genannten deutschen Bahnhöfen und an der Strecke versammelten sich Menschen, um Schlageter die letzte Ehre zu erweisen […]. Am 10. Juni 1923, einem Sonntag, folgte die Beisetzung in einem Ehrengrab auf dem Schönauer Friedhof, Sonderzüge wurden eingesetzt, um dem Andrang Herr zu werden. Anwesend waren neben den ehemaligen Freikorpsführern Hubertus v. Aulock und Walter Eberhard Frhr. v. Medem auch Vertreter der badischen Regierung. Die Bedeutung, die man dem Geschehen beimaß, zeigt sich auch darin, dass Überführung und Beerdigung gefilmt wurden.
(Zwicker, Nationale Märtyrer)

https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=gbj-002:2000:7::250#190

Spätestens als der Schlageter-Kult nach 1933 maßlos gesteigert wurde, war Ernst – in offizieller Funktion – ganz sicher bei den Gedenkveranstaltungen in Schönau dabei:

https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=gbj-002:2000:7::250#190

An der Gedenkfeier [am 4. Juni 1933] nahmen 16—18 000 Menschen teil, darunter insgesamt über 7000 Mann aus SA, SS, Motorsturm, Reservesturm, Hitlerjugend, Stahlhelm, Jungdeutscher Orden, Arbeitsdienst und Kriegervereine. (Fuhrmeister)


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