Grenzach, den 28.10.1935
Anbei: zwei zahnärztliche und einen frauenärztlichen Befund zu dem Heiratsgesuch des SS U-Scharführers Maier Ernst
Etwa eine Woche nachdem ihn das Schreiben aus Berlin erreicht haben dürfte, reicht Ernst weitere Unterlagen beim RuSHA ein:
Zu dem zahn und frauenärztlichen Befundbericht meiner Braut muß ich folgendes bemerken:
Um die Beibringung, der erforderlichen Papiere meiner Braut, auf dem schnellsten Wege folge zuleisten, wurde die frauenärztliche Untersuchung bei der bekannten Dr. Margret Dickmann-Gugler in Allschwil bezw. Basel, wo meine Braut noch bis zum 1. XI.35 in Stellung ist, auf Kosten der dortigen Krankenkasse durchgeführt.
Bei der Untersuchung, bei Dr. Pitsch in Grenzach, wurde von meiner Braut erwähnt, daß sie sich gegenwärtig in zahnärztlicher Behandlung befinde, was aber von Herrn Dr. Pitsch allem Anschein im Erbgesundheitsbogen nicht vermerkt wurde. (Siehe Bestätigung von Dr. med. dent. Dähler Basel)
Da eine Unterleibsentzündung, bei meiner Braut nicht besteht, noch jemals bestanden hat und die von mir ange(?) Schwangerschaft, jetzt im dritten Monat sichergestellt ist, bitte ich um baldige Genehmigung zur Heirat.
Die genannten Atteste liegen der Akte bei. Katharina hat demnach am 24. und 25. Oktober zweimal den Weg in die Stadt unternommen, um sich zunächst bei Frau Dr. Dickman-Gugler und anschließend bei Herrn Dr. Dähler bestätigen zu lassen, dass sie sich in Behandlung befindet. Laut schulferien.org waren das ein Donnerstag und ein Freitag. Als im Haushalt lebendes Dienstmädchen, war es sicher nicht ganz einfach, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen frei zu nehmen, um Arztbesuche zu machen. Aber, wie Ernst schreibt, Katharinas Tage als Angestellte waren sowieso schon gezählt, in knapp zwei Wochen würde sie die Anstellung verlassen – vermutlich in Antizipation der bevorstehenden Heirat, die ja nur noch genehmigt werden musste.
Wieso schreibt Frau Dr. Dickmann-Gugler, dass Katharina bereits einen Monat zuvor bei ihr zur Untersuchung war? Das passt weder zu Ernsts Aussage im Begleitschreiben, dass man sich aus Zeitgründen an eine Ärztin in der Schweiz gewendet habe (klingt nach einer einmaligen Sache), noch dazu, dass Katharina am 5. Oktober, bei der Untersuchung durch Dr. Pitsch, weder eine Schwangerschaft erwähnte, noch dass sie sich in gynäkologischer Behandlung befand. Angesichts der durch Dr. Pitsch durchgeführten Untersuchung und Diagnose (Cervixkatarrh), hätte dies doch zur Sprache kommen sollen?
Das Attest geht sogar noch weiter und bestätigt rückwirkend zur September-Untersuchung, dass eine Unterleibsentzündung zum Zeitpunkt der Untersuchung in Grenzach nicht bestanden haben kann.
Das „Attest“ des von Katharina besuchten Zahnarztes, Dr. Dähler, fällt sehr viel knapper aus:
Unterzeichneter bestätigt hiermit, dass Fräulein Winter, Allschwil, im August 1935 in seiner Behandlung war.
Damit ist der Anforderung der RuSHA natürlich nicht entsprochen. Da im Untersuchungsbogen keine Angaben zum Gebiss gemacht wurden, hatte man Katharina aufgefordert, sich in Behandlung zu begeben. Ernst schreibt jetzt, dass sie ja schon längst in Behandlung sei (Attest liegt bei). In welchem Zustand sich ihre Zähne befinden, dazu wird weiterhin nichts mitgeteilt.
Dr. Margret Dickmann-Gugler war später (1961) eine von 11 oder 13 Frauen, die als erste weibliche Bürgerrätinnen der Stadt Basel gewählt wurden. Quelle: https://blog.staatsarchiv-bs.ch/basels-erste-parlamentarierinnen/ Sie gehörte der liberalen „Radikaldemokratischen Partei“ an.
Eine von diesen Damen muss sie sein. Aus anderen Bildern, die mit Namen versehen sind, können identifiziert werden:
- Elisabeth Vischer-Alioth (Alterspräsidentin), Vereinigung Evangelischer Wähler – geb. 1892, d.h. Frau Dr. Dickmann-Gugler war 1935 maximal 42 Jahre alt, denn sie muss ja jünger sein als Frau Vischer-Alioth (erste Reihe links)
- Gertrud Bossert, Radikaldemokratische Partei (letzte Reihe links)
- Margaretha Amstutz, Radikaldemokratische Partei (erste Reihe rechts)
- Dr. Rose Reimann-Hunziker, Radikaldemokratische Partei (dritte Reihe ganz links)
- Dr. Gertrud Spiess, Katholisch und Christlichsoziale Volkspartei (zweite Reihe Mitte)
- Dr. Salome Christ, Landesring der Unabhängigen (letzte Reihe, rechts)
- Ruth Epting, Vereinigung Evangelischer Wähler
So, jetzt habe ich in der Bildbeschreibung eines der anderen Bilder im Staatsarchiv Basel-Stadt, das bei der Suche nach Frau Dickmann-Gugler aber nicht aufgetaucht ist, ihren Namen gefunden:
Daraus schließe ich, dass es sich bei ihr um die Dame ganz links im oberen Bild handelt.
Interessant ist auch die Adresse der Praxis: Blumenrain 20:
Auch zu Dr. med. dent. Ernst Dähler, Aeschenvorstadt 71, Basel, findet man nach einigem Suchen ein paar Hinweise. Den Vornamen habe ich zunächst in einem Jahresbericht des SAC (Schweizer Alpen Club) gefunden, in dem Dr. Dähler zu seiner 40-jährigen Mitgliedschaft beglückwünscht wird. Das war 1967. Demnach war Dähler seit 1927 Mitglied und lebte 1967 noch.
Aus einem Bundesblatt vom 12.02.1969, in dem die Mitglieder der dem Eidgenössischen Gesundheitsamt beigegebenen ausserparlamentarischen Kommissionen benannt werden, findet sich unter dem Abschnitt „II Examinatoren und stellvertretende Examinatoren“ zu „B Zahnärztliche Prüfungen“ unter den stellvertretenden Examinatoren „Dähler Ernst, 1907, Zahnarzt, in Basel“. Dr. Dähler war 1935 also 28 Jahre alt.
Auch für die Amtsdauer 1977-1980, also 10 Jahre später, findet sich Dr. Dähler noch als stellvertretender Examinator.
Die Praxis von Dr. Dähler befand sich in der Aeschenvorstadt, das Haus ist auf Google leider nicht direkt absehbar, scheint aber noch zu stehen.
Heute, so sagt Google Maps, würde Katharina zu Fuß jeweils etwa 40 Minuten benötigen, um von ihrem Wohn- und Arbeitsort zu den jeweiligen Ärzten zu gelangen. Das geht eigentlich:
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