Diese Recherche umfasst nicht nur das Leben von Ernst Maier, sondern von Anfang an auch all die Personen, die mir dabei über den Weg laufen. Einerseits aus den Akten, andererseits aus der Literatur und dann diejenigen, von denen ich mir mehr Einblick in die Zeit allgemein und im Wiesental und Grenzach speziell verspreche.
Mein Interesse für Dr. Friedrich Wilhelm „Fritz“ Pitsch entstand zunächst dadurch, dass es ihn „nicht mehr gibt“. Obwohl er etwas mehr als 20 Jahre als Arzt in Grenzach tätig war, hat er nur wenige Spuren hinterlassen. Umso spannender für mich war es, dass die wenigen Spuren, die es gibt, eine vielschichtige Person zeigen.
Wie bereits geschildert, bin ich über Google auf den Beitrag bei ancestry.com gestoßen, in dem neben diversen Fotos der Nachruf auf Dr. Pitsch hochgeladen wurde.
Ich habe den Nutzer bereits letztes Jahr kontaktiert, jedoch keine Antwort erhalten. In einem zweiten Versuch habe ich dann vor einigen Wochen den Sohn von Dr. Pitsch, Hansjörg, gegoogelt und tatsächlich gefunden: In einer Datenbank von Einwohnern Ohios!
Ich habe also einen Brief nach Cleveland geschickt und Antwort erhalten. Seit einiger Zeit stehe ich jetzt im Austausch mit Hans Pitsch, der mir dankenswerter Weise von seinem Vater erzählt hat – auch wenn mein Ansinnen erst einmal komisch wirkte.
Hier nun ein aktualisierter Überblick auf das Leben und Wirken Dr. Pitschs:
Friedrich Wilhelm, genannt Fritz, Pitsch, geboren am 06.02.1894, wuchs in Basel auf und kam, gemeinsam mit seinen Eltern, erst 1919 nach Grenzach. Das erklärt, warum sich im Ortssippenbuch auch ein Eintrag für seine Eltern findet. Er hatte zwei ältere Schwestern, neben der im Ortssippenbuch aufgeführten Katharina (Käthe), eine weitere Schwester namens Maria (geb. 1879).
Hermann Gustav Pitsch starb 1926 und seine Witwe zog anschließend nach Hamburg, wo ihre beiden Töchter bereits lebten. Sie starb dort 1933.
Fritz Pitsch nahm am Ersten Weltkrieg teil, wurde jedoch bereits nach wenigen Monaten aus gesundheitlichen Gründen entlassen und nahm dann ein Medizinstudium in Basel auf. Wie damals üblich, studierte er an mehreren Universitäten (Freiburg, Tübingen, Heidelberg) und absolvierte anschließend seine Facharztausbildung zum Dermatologen in Basel am Bürgerspital, wo er auch seine erste Frau, eine Schweizer Krankenschwester aus dem Thurgau, Lily Roth, traf.
Fritz und Lily heirateten 1924 in der evangelischen Kirche in Grenzach und im gleichen Jahr ließ sich Dr. Pitsch als Arzt in Grenzach nieder. Er war zu diesem Zeitpunkt der einzige Arzt und damit weniger als Dermatologe, sondern als Hausarzt tätig. 1926 wurde die Tochter Ruth geboren und 1930 dann Hans(jörg).
Neben seiner Tätigkeit als Hausarzt war Dr. Pitsch auch als Schularzt (ab 1925 oder 1928) und als Werksarzt (ab 1938) bei den Firmen Geigy und Salubra tätig.
Seine Praxis befand sich ab 1931 im Eckhaus Bertlingen / Jacob-Burckhardt-Straße. Die Praxis-Adresse „Rheinstraße 5a“, die sich auf Katharina Winters Fragebogen findet, scheint sich auf dasselbe Haus zu beziehen.
Wie schon aus seinem Nachruf und den Archivunterlagen deutlich wurde, befasste sich Dr. Pitsch nicht nur mit Medizin: Er war Freimaurer und in der Friedensbewegung aktiv, mit Albert Schweitzer bekannt und ein Student bei C.G. Jung in Zürich. Schweitzer traf er vermutlich 1923, als dieser auf Spendentour ein Orgelkonzert in der Evangelischen Kirche in Grenzach gab.
Von Hans Pitsch habe ich jetzt erfahren, dass sein Vater auch literarisch tätig war und u.a. Theaterstücke verfasste, die allerdings soweit bekannt, nicht aufgeführt wurden, und Mitglied im Stahlhelm war.
1939 wurde Dr. Pitsch, obwohl mittlerweile bereits 45 Jahre alt, direkt eingezogen und ab September 1939 bis Januar 1942 als Unterarzt in Donaueschingen stationiert. Er war also tatsächlich abwesend aus Grenzach und wurde in dieser Zeit durch einen Dr. Oskar Wack vertreten. Entlassen wurde er, wie auch bereits im Ersten Weltkrieg, aufgrund gesundheitlicher Probleme. Zurück in Grenzach übernahm Dr. Pitsch wiederum seine Tätigkeit als Werksarzt und war in dieser Kapazität auch für die in den Grenzacher Firmen eingesetzten Kriegsgefangenen zuständig.
Nach Kriegsende wechselte Dr. Pitsch aus der Hausarztpraxis in die Verwaltung. Wie es zu diesem Schritt kam, dazu konnte mir auch Hans Pitsch nichts genaueres sagen. Die Französische Besatzungsmacht war auf „unbelastetes“ Personal angewiesen und in diesem Sinne mag man auf Dr. Pitsch zugekommen sein:
My father had treated many of the French soldiers occupying Grenzach and he also supervised a young French physician who was assigned to him. The French were looking out for people who had not been tainted. That my father spoke French fluently may also have helped.
Dr. Pitsch war ab Januar 1946 als Regierungsmedizinaldirektor im Ministerium für Gesundheit von Südbaden, in Freiburg, angestellt. Dazu muss man sagen, dass bis zur Vereinigung 1952, drei separate Staaten – Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bestanden. Dr. Pitsch war also quasi auf Landesebene und in der Landeshauptstadt beschäftigt, während die Region heute als Bezirk verwaltet wird. In seiner Position fielen Dr. Pitsch unterschiedliche Aufgaben zu:
My father’s responsibilities included supervision of all district and local health departments, oversight of the public institutions for the mentally ill and retarded, licensing of physicians and other medical personnel and programs to combat epidemics and various infectious diseases. Because of wide-spread malnutrition, tuberculosis was a major health problem after the war. I believe my father’s greatest achievement was in planning and implementing effective services for TB patients.
In diese Zeit fällt ein weiteres spannendes Detail aus dem Nachruf; Dr. Pitsch war als deutscher Vertreter bei der Aufnahme der Bundesrepublik in die WHO 1951 in Genf dabei. Obwohl er in diesem Kontext nicht mehr weiter involviert war, scheint Dr. Pitsch in den Jahren nach dem Krieg und vor seinem Tod 1952 ein verhältnismäßig internationales Leben geführt zu haben:
In 1949, my father traveled to the United States with the support of the Action Committee For Combatting Tuberculosis in Europe. I do not have the details of his itinerary, but I know that he was in New York and in Philadelphia where I think he was seeking financial support from Quakers and other groups in the fight against TB. He was also made an honorary member of the Edward Livingston Trudeau Society (later known as the American Thoracic Society).
Wie das Ortssippenbuch mitteilt, wurden Lily und Fritz Pitsch 1951 geschieden. Dr. Pitsch hatte in seiner Zeit in Freiburg seine spätere zweite Frau, Marianne, geb. Schaffer kennen gelernt, mit der er eine weitere Tochter hatte.
Dr. Pitsch starb unerwartet am 3. Mai 1952 in Freiburg. Zu seiner Beerdigung kam u.a. auch Leo Wohleb, Staatspräsident des kurzlebigen Landes Baden (1947-1952) und der Innenminister des Landes, Alfred Schühly, hielt die Trauerrede.
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